Die Gründung der Waltringer Schützenbruderschaft wird auf das Jahr 1690 datiert, also während des Pfälzer Erbfolgekrieges, der nur vierzig Jahre nach den Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges den Frieden in Europa erschütterte. In einer Urkunde aus dem Archiv der Pfarrkirche von 1693 wird erstmals das Vogelschießen bei den Schützenbrüdern in Waltringen erwähnt. Aus den folgenden Jahren sind über die Bruderschaft leider keine weiteren Quellen mehr vorhanden. Eine Zeitlang wurde wohl auf Scheiben geschossen und zwar in der Schlucht des alten Hohlweges auf dem Grundstück Hohoff am Südhang der Haar. 1850 erfolgte die Eintragung in das preußische Vereinsregister.
Die Schützenbruderschaft feierte bis um die Jahrhundertwende das Schützenfest auf den Bauernhöfen. Vor dem Ersten Weltkrieg schaffte man ein eigenes Tanzzelt an, die Zeltplane musste man jedoch zu Kriegsbeginn 1914 für Kriegszwecke abgeben.
Nach dem Weltkrieg wurden die Schützentraditionen wieder aufgenommen. Die Protokollbücher sind ab dem 27. Juni 1924 vorhanden. Bis zum Jahre 1928 wurde zu den Schützenfesten ein Zelt ausgeliehen. 1928 wurde dann wieder ein eigenes Zelt angeschafft, welches durch eine Umlage von 6 Reichsmark je Schützenbruder finanziert wurde. Das Aufbauen des Zeltes und der Ausschank wurden laut Protokollbuch jedes Jahr neu vergeben. Das Zelt wurde auch an benachbarte Vereine gegen Miete verliehen.
1928 wurden dann auch erstmals Schießkarten ausgegeben. Geschossen wurde nach einer Liste, der Schuss kostete 20 Pfennig. Bis 1931 wurde mit eigenen Gewehren geschossen. Mit Karabinern, Schrot- und Rehpostenflinten oder mit Vorderladern wurde versucht, dem Holzvogel den Garaus zu machen. Ab 1932 wurde das Vogelschießen durch einen bestellten Schießmeister abgewickelt, wobei die Bruderschaft einen Schießoffizier stellen musste.
Untere Reihe von links:
Zweiter Brudermeister Franz Dümpelmann, Erster Brudermeister Peter Wiesenthal, Adjutant Heinrich Greune (Vierhausen)
Mittlere Reihe von links:
Bernhard Luig-Schilling, Kaspar Hahne, König Wilhelm Schriek, Theodor Jasper, Bernhard Severin
Obere Reihe von links:
Heinz Hering, Wilhelm Bühner, Heinrich Dümpelmann
Ein typischer Ablauf des Schützenfestes sah wie folgt aus:
Am Samstagabend, dem sogenannten Stangenabend, versammelten sich die Schützenbrüder - es war ein reiner Männerabend. Die lange Vogelstange wurde auf den Schulterm, Mann an Mann, vom Schützenplatz zum Schießplatz an der Linde getragen. Vier Jungen aus dem letzten Schuljahr durften den Vogel, den Geck und einen Korb mit Schnaps vor der Musik her zum Schießplatz tragen. Dort angekommen wurde der Vogel aufgesetzt. Der Geck, eine Holzpuppe mit bunten Bändern, wurde einen Meter unter dem Vogel an der Vogelstange befestigt. Dann wurde die Vogelstange mit Leitern und langen Seilen aufgerichtet und zwischen den Halteeisen mit Bolzen gesichert. Damit die Schuljungen nicht so schwer tragen mussten, wurde der Korb um den Schnaps erleichtert. Anschließend ging es zurück zum Schützenzelt, wo der Stangenabend oft in froher und geselliger Runde ein spätes Ende nahm.
Am nächsten Tag, dem Sonntag, regierte noch einmal das Königspaar vom vergangenen Jahr. Am Nachmittag versammelten sich alle Schützenbrüder zum Festzug. Die Teilnahme war natürlich Pflicht, denn dem Protokoll- und Versammlungsbeschluss vom 20.6.1926 gemäß sollte jeder Schützenbruder, der noch nicht 50 Jahre alt war, am Festzug teilnehmen. Lag kein triftiger Entschuldigungsgrund vor, sollte er nach dem Protokoll: „mit 2 Mark in Strafe gesetzt werden", was im Wert 20 Schnäpsen entsprach.
Nach dem Abholen der Fahne und des Hauptmanns zog man zum Königspaar. Nachdem man sich dort mit Schnäpsen gestärkt hatte, zog man mit dem Königspaar und dem Hofstaat durchs Dorf zum Festplatz. Mit dem Königstanz wurde das sonntägliche Fest eröffnet. Bei Freibier wurde bis spät in die Nacht hinein gefeiert.
Nach der Schützenmesse am folgenden Montagmorgen marschierten die Schützenbrüder mit Musik zur Vogelstange. Dort angekommen kommandierte der Hauptmann nach alter Sitte und Brauch: „Hut ab zum Gebet". Es wurde kniend das „Vater unser" und das „Gegrüßet seist du Maria" gebetet.
Am Schießplatz an der Linde, wo der Waldweg und Steinweg auf die Vierhauser Straße führen, wurde ein Leiterwagen quer über die Straße nach Vierhausen gestellt. Der Leiterwagen diente als Straßensperre und zugleich als Schießauflage. Zunächst wurde der Geck abgeschossen. Der Schütze bekam eine Geldprämie und war der „Geck vom Fest".
Derjenige, welcher den letzten Rest des Holzvogels von der Stange abschoss, war natürlich Schützenkönig. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Nach dem Königsschuss ließen alle Anwesenden den neuen König hochleben. Es gab Königsbier und die Königinnenwahl stand an. Das Königspaar und der neue Hofstaat mussten am Nachmittag bereits in Festkleidung die Parade abnehmen. Nach dem Aufmarsch und dem Königstanz im Zelt wurde bis zum frühen Morgen gefeiert.
Im Jahre 1932 wurde eine neue Vogelstange auf dem Waldgrundstück des Bauern Brunnberg errichtet, da der Unterbau der alten Vogelstange zu unsicher und der Verkehr an der Vierhauser Straße zu stark geworden war.
Bis 1933 führte die Bruderschaft den Namen: „Schützenbruderschaft unter dem Schutze der heiligen Gottesmutter e.V.". Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurden mit der Umsetzung der Gleichschaltung alle Schützenbruderschaften im Deutschen Schützenverband geführt und damit auch Mitglied des NS-Reichsbundes für Leibesübungen. Man durfte sich nur Schützenverein und nicht mehr Bruderschaft nennen.
Nach dem Kriegsende im Jahre 1945 übernahmen die Schützen wieder die alte demokratische Form und führen seitdem den Namen „St. Marien Schützenbruderschaft Waltringen 1690 e.V."
Eine neue Satzung wurde erstellt, in der die Gemeinnützigkeit der Schützenbruderschaft verankert wurde und die das Bekenntnis des Glaubens, den Schutz der Sitte und die Liebe zur Heimat als Motto aufnahm.
Das erste Schützenfest nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dann im Jahre 1948 gefeiert, am Tage der Währungsreform vom 20. auf den 21. Juni. Die ersten beiden Festtage bezahlte man noch mit Reichsmark, am Montag dann mit neuer D-Mark. Da nur mit einer Armbrust geschossen werden durfte, war ein leichter Vogel an Glühbirnen befestigt.
1949 wurde auf Lüssen-Hof eine neue Holzstange gefertigt. Die Firma Severin war damit beauftragt. Am Stangenabend wurde die neue Vogelstange zur Haar gebracht. Josef Severin baute den ersten Holzvogel.
Obere Reihe von links nach
rechts
Franz Olmes, Willi Horenkamp, Josef Kettler, Kasper Olmes, Reinhard Olmes, Clemens Fahnemann
Mittlere Reihe:
Franz Schriek, Günter Westhoff, Bernhard Olmes, Wilhelm Topp, Kasper Telgenbüscher,
Heinz Severin, Heinrich Olmes, Heinrich Dümpelmann, Willi Lenze, Adolf Böse,
Edgar Teuber, Bernhard Dahlmann, Bernhard Hering
Untere Reihe:
Kasper Olmes (stehend in Uniform), Franz Borgmann, Theodor Bauerdick, Theodor Tigges, Albert Lüke,
Heinrich Telgenbüscher, Franz Bankamp (stehend in Uniform), Theodor Voß (stehend in Uniform)
Im Jahre 1963 beschloss die Bruderschaft unter Brudermeister Friedrich Schulte, eine Halle zu bauen, welche am 29.06.1963 feierlich eingeweiht wurde. Die Planung und die Bauleitung übernahm das neue Vorstandsmitglied Heinz Severin.
1966 wurde die Holzstange durch einen Gittermast mit Kugelfang ersetzt. Neue Sicherheitsvorschriften machten diese Veränderung notwendig. 1975 wurden die alten Holzschuppen neben der Schützenhalle abgerissen und die Trinkhalle errichtet. Bis zum Jahre 1980 war das Vogelschießen im Wald Anziehungspunkt für Besucher von nah und fern. Doch bedingt durch neue Auflagen der Behörden in Bezug auf Sicherheit und Hygiene fasste die Bruderschaft den Beschluss, die Vogelstange 1981 im Hallenbereich auf dem Schützenplatz aufzustellen.